Falafel in Berghütten: Marco Peròs grüne Mission auf weissen Pisten

11. Februar 2020

Wasser von der Quelle statt aus der PET-Flasche, Pasta fatta in casa statt Fertig-Fondue: Der Zürcher Gastronom Marco Però krempelt unter dem Label Mountain Food die Andermatter Berggastronomie um. Und will nun auch mehr vegetarische Alternativen anbieten. 

Marco Però lehnt sich über einen Produktionstisch im Andermatter Restaurant Biselli, an dem eine Konditorin hausgemachte Panna Cotta in Dessertgläser abfüllt. «Bis vor Kurzem kauften wir die Panna Cotta tiefgekühlt im Unterland und mussten den Abfall wieder von den Bergrestaurants runterbringen», erzählt Però, Wuschelkopf und schwarzer Rollkragenpulli, und dreht eins der Gläser in der Hand herum: «So sparen wir Plastik – und der Gast isst erst noch ein besseres Dessert.» 

Eine kleine Revolution 

Seit drei Jahren leitet Però die inzwischen 16 Gastro-Betriebe von Andermatt Swiss Alps. Und er hat dabei mit dem Label Mountain Food eine kleine Revolution angezettelt.  

Die Gastronomiegruppe hält Plastik von den Bergen fern und setzt auf Hausgemachtes sowie Regionales statt Convenience. «Das Schönste daran ist, dass sich dies auch rechnet», sagt Gastroprofi Però.  

Wie die Jungfrau zum Kind 

Zum Job in den Bergen kam der 40-Jährige, wie er selbst meint, «wie die Jungfrau zum Kind.» Però wuchs zwar im voralpinen Toggenburg auf, wurde nach der Kochlehre im Dolder Grand Hotel am Zürichberg aber zum Stadtkind.  

Als rechte Hand des Zürcher Szenegastronomen Michel Péclard konzipierte und führte Però schon mit Anfang 20 Restaurants, brachte etwa im Keller eines Tramhäuschens den legendär gewordenen Pastakeller unter. 2010 machte er sich selbstständig und baute sich ein kleines Gastro-Imperium mit Beteiligungen an fast einem Dutzend Zürcher Restaurants auf.  

Peròs einmalige Chance 

2017 erhielt Però eine Anfrage von Samih Sawiris. Der Investor suchte renommierte Wirte, die einzelne Betriebe des rasch wachsenden Alpenresorts übernahmen. Von Però gabs einen Brief als Antwort: Nur eine Gesamtleitung, argumentierte er, könne dem Alpenresort eine gastronomische Identität verleihen – und zugleich dessen Anspruch an Nachhaltigkeit erfüllen.  

Sawiris holte Però in den Verwaltungsrat von Andermatt Swiss Alps, doch nach einem Augenschein vor Ort wurde diesem klar: Wollte er seine Vision verwirklichen, musste er die operative Leitung übernehmen. «So eine Chance erhält man kein zweites Mal», erzählt Però. Er gab seine Zürcher Beteiligungen bis auf eine auf und mietete sich eine Wohnung im Urner Bergdorf.  

Schnell realisierte der Zürcher, der Bergrestaurants bloss als Skifahrer kannte, wie entscheidend der Faktor Abfall war. «In der Stadt schmeisst man den in die nächste Tonne», sagt er, «hier oben muss er mit dem Pistenfahrzeug zur Seilbahn und dann ins Tal gebracht werden.» 

Kein Plastik mehr in den Bergen 

Nicht aller Müll schafft es überhaupt so weit: Kleinplastik – Ketchup-Packungen, Rührstäbchen, PET-Flaschen – fegt der Wind von den Terrassen der Bergrestaurants in den Schnee. «Nahe Andermatt entspringen gleich vier Flüsse», sagt Però, «die spülen das Plastik durch ganz Europa und dann ins Meer.» Sein erstes Ziel lautete deshalb: Kein Plastik mehr in den Bergen.  

Ketchup und Mayonnaise für die Pommes schöpfen die Gäste der Mountain Food-Bergrestaurants seither aus Schüsseln, den Kaffee rühren sie mit richtigen Löffeln. Zudem nutzte Però das nahe Quellwasser gleich dazu, das bisherige Mineralwasser in PET-Flaschen zu ersetzen: Die Gäste füllen es direkt ab dem Hahn in Emaille-Becher – gratis.  

«Manche fürchteten eine Umsatzeinbusse», erinnert sich der Wirt, «aber die Gäste geben nun mehr Geld fürs Essen aus – oder kommen überhaupt erst, weil sie nichts fürs Getränk zahlen müssen.»  

60’000 PET-Flaschen gespart 

100’000 Liter fliessen jährlich aus den Wasserhähnen – 60’000 PET-Flaschen hat Però damit eingespart. Dafür unterschätzte Però eine andere Folge der PET-Verbannung. Da Sprite und Cola nun in schweren Glasflaschen auf die Berge kommen, wird der Transport aufwändiger.  

Für die Entsorgung fand Però eine effiziente Lösung: Statt dem Rücktransport mit dem Pistenfahrzeug lagert das Leergut nun in den Pistenbeizen und wird nach der Schneeschmelze von LKWs heruntergebracht.  

Fondue aus der Dorfkäserei 

In seiner zweiten Saison 2018 setzte Però den Kampf gegen den Abfall mit kulinarischen Mitteln fort: Frische Älplermagronen statt Fertig-Fondue hiess nun die Devise. Und die neue Fonduemischung kommt direkt aus der Dorfkäserei.  

Um zusätzliche Transportwege ins Unterland zu sparen, plante Però im Biselli, dem Restaurant im Dorfkern des Alpenresorts, von Beginn eine Konditorei und eine Pastaproduktion ein. Damit werden abgelegenere Mountain Food-Betriebe mit Desserts und Teigwaren versorgt. Ganz ohne Zulieferer geht es mangels Kapazität aber noch nicht: Die 1,9 Tonnen Bolognese- und 1,7 Tonnen Napoli-Saucen pro Saison kocht ein Zürcher Zulieferer.  

Ghackets und Hörnli für Vegis  

2020 wird Mountain Food um einen Aspekt erweitert: Gesundheit. «In den Skiferien wollen sich die Leute was gönnen», weiss Però, «trotzdem wollen wir neben Bratwurst und Rösti künftig mehr leichte Kost anbieten: Mehr Salat, mehr Falafel.»  

Um neuen Essgewohnheiten Rechnung zu tragen, hat Però bereits dafür gesorgt, dass Berghütten auch Vegi-Burger anbieten. Nun will er das Angebot ausbauen. «Mit den neusten Fleischersatz-Produkten schmeckt vegetarisches Ghacktes mit Hörnli fast wie echtes», sagt Però und lächelt unternehmenslustig.  

Skepsis der Bergler ist geschmolzen 

Falafel in Berghütten: Auch mit dieser Idee wird sich der Zürcher in Andermatt nicht beirren lassen. Sowieso ist die anfängliche Skepsis der Bergler gegen den Unterländer, der so einiges anders macht, inzwischen geschmolzen wie der Schnee nach Saisonende.  

Im Eingangsbereich des Biselli, das Marco Però mit dunklem Holz modern und zugleich gemütlich eingerichtet hat, plaudert der Berggastro-Revoluzzer ungezwungen mit Andermattern beim Kaffee. Und als er für den nächsten Termin in seiner dicken Mountain Food-Winterjacke in den Schnee hinausstapft, sieht er auch schon ein bisschen aus wie ein Bergler. 

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